Berliner Zukunftsverwaltung (Diplomarbeit) ― Peter Behrbohm ― Berlin, 2013 ― BDA SARP AWARD 2014
«Berlin, Alexanderplatz». Stets geht es hier um die Zukunft, aus nichts anderem besteht der Platz. Allein im letzten Jahrhundert hatten drei Architekturwettbewerbe das Ziel, ihn abzutragen und von Grund auf neu zu errichten. Der erste (1928) forderte einen «Weltstadtplatz». Im zweiten (1964) gelang es, der sozialistischen Hauptstadt eine Form zu geben und dem dritten (1993) ging es vor allem um das Verschwinden seines Vorgängers. Dieser nun ist es, der gerade realisiert werden soll. Demnächst wird ein Hochhaus errichtet am Platz, das erste von 10. Das Grundstück scheint leer, doch ist es bebaut. So hoch wie das gründerzeitliche Berlin, nur eben nach unten.
Seit 1928 liegt leicht versetzt unter dem Tower in spe der riesige Fundamentblock eines nie vollendeten Hochhauses von Peter Behrens. U-bahnschächte führen hindurch, ein mehrstöckiger Bunker, Fußgänger- und Autotunnel wurden später darübergebaut. Einige der Schächte sind gefüllt mit Verkehr, der Rest liegt seit Jahren ungenutzt, an allen Enden zugemauert im Sand. Während die Bebauung immer wieder ausgetauscht wurde, ist mit jedem Tabula Rasa im Untergrund nur hinzugefügt, jedoch kaum etwas entfernt worden.
Der Entwurf aktiviert die arbeitslosen Schächte und verbindet sie zu einer Institution, deren Aufgabe fortan die Sicherung der Zukünfte ist. Hier werden sie bewahrt, die rosigen Ausblicke und idealistischen Visionen, in der «Bauvorleistung Alexanderplatz» einem Schaulager der Möglichkeiten, stets bereit zur Zukunftsrekonstruktion. Über der Erde zeigt sich die Institution durch eine Reihe metallischer Türme, die wie Pilze auf dem konfliktreichen Untergrund stehen und ihn benutzbar machen. Statt den Alex erneut mit einer Gesamtlösung zu retten, suchen sie im Gegenteil seine Qualität - das Wesen des Platzes ist seine Unlösbarkeit.
Ein Loch klafft im Boden der Stadt. Rohre und Schläuche führen zappelnd heraus und enden an klobigen Maschinen, die monoton vor sich hinstampfen oder ohrenbetäubend rauschen. Im Loch eine schwarze Pampe, vermutlich Wasser, spiegelt regungslos die hohen Häuser und die quirlige Menschenmenge drumherum. Menschen sieht man überall, die Baustellenabsperrung hält sie davon ab, versehentlich in die Baugrube zu stolpern oder vorsätzlich hineinzuspringen.
« B e r l i n , A l e x a n d e r p l a t z »
Es könnte 1928 sein, 1953, 1969, 2012, heute, übermorgen, die Zeit tut nichts zur Sache. Die große Uhr, die mitten auf dem Platz steht, gibt einem nur zu verstehen, dass man es gefälligst eilig hat. Gleich kommt irgendwo eine Bahn, die man noch kriegen könnte, wenn man sich beeilt. In New York ist es gleich 13:00 Uhr und auch wir bräuchten ein Hochhaus. Die alte Stadt war nicht mehr zeitgemäß. Eine neue musste her. Jetzt baut man sie. Kräne und Treppentürme stehen schon wie Totems in der Wüste. Modern sieht sie aus und irgendwie hatte man die alte lieber. Ist das die Zukunft?
« Z u k ü n f t e » - der Platz besteht seit gut hundert Jahren aus nichts anderem. Skizzierte, gebaute, nicht gebaute, auf halbem Weg im Sand zurückgelassene. Eine Vergangenheit gibt es nicht mehr - nur in die Jahre gekommene Zukünfte.
Es scheint wie ein ungeschriebenes Gesetz, ihn alle 30 Jahre von Grund auf neu errichten zu wollen. Den Alexanderplatz. ihn « z u l ö s e n » und bewusst oder unbewusst zum baulichen Ausdruck eines idealisierten Gesellschaftsbildes zu machen. Schon knirscht wieder Beton in den Klauen der Bagger, die eine alte Vision in handliche Brocken verarbeiten. Eine Neue steht bereits auf den Bauschildern, schäbiger als die vorherige aber schön gerendert und vielleicht umso zeitgemäßer.
Der Mythos des Ortes Berlin Alexanderplatz hat mit seiner rückprojezierten Utopie zu tun. Der Alexanderplatz von Döblin oder Ruttmann, aus Büchern und Filmen der 20er war ein moderner Verkehrsknoten im maroden Berlin. Baustadtrat Martin Hoffmann wollte ihn im Wettbewerb von 1929 zum «Weltstadtplatz» zu machen, einem Kreisel, dessen aus allen Richtungen und Ebenen zusammenlaufender Verkehr sein Râison d‘être werdem sollte. Die Gebrüder Luckhardt gewannen den Wettbewerb, indem sie den Platz dem selben Streamlining unterzogen, wie den Verkehrsmitteln, die ihn umkreisten. Gebaut wurde jedoch der Vorschlag von Peter Behrens, der den « U n t e r g r u n d » mit in seine Planungen einbezog. Behrens hatte als Hausarchitekt der AEG bereits die U8 errichtet und kannte sich aus, da unten.
Seit dem hat alles eine Entsprechung im Untergrund. Der Raum unter der Weltzeituhr, der Raum unter dem Brunnen der Völkerfreundschaft, selbst die öffentlichen Toiletten. Allen voran aber der Verkehr.
Wie ein Organ perfekt an seine Aufgabe angepasst, scheint das Ubahnnetz. Geschliffen durch die tägliche Routine herrscht vermeintlich reine Funktionalität. Nichts anderes erwartet man von Infrastruktur. Um die oberirdische Prärie zu schaffen, hat man im Laufe der Zeit mit großem Aufwand alles vergraben, was sich hier einst überlagert hat. Hauptleitungen für Strom, Daten, Fernwärme, sauberes oder dreckiges Wasser verflechten sich im Untergrund mit Flüssen, Straßen, Bahnen und Bürgersteigen. Oben wurde die Bebauung mehrfach ausgetauscht, während im Untergrund meist nur hinzugefügt aber selten etwas entfernt wurde. Wie zwangsläufig entstanden « V e r s ä t z e und R e s t r ä u m e » als bauliches Gedächtnis der Stadt, die nicht der Logik der Oberwelt folgen. Gerade der Alexanderplatz ist durchlöchert mit solchen Fehlern - blinde Abzweigungen und von jeglicher Funktion befreite Tunnel liegen überall verstreut unter der Erde. Nicht ohne Ziel, aber konsequent ohne dies zu erreichen.
Zwischen dem untereinander verbundenen Bahnhöfen der U-Bahnlinien U2, U5 und U8, dem Autotunnel und zahlreichen tiefen Kellergeschossen liegen folgende Räume ungenutzt:
1 - Der größte Regenwasser-Notauslass des Hobrechtschen Radialsystems als ein vom Strom gekappter unterirdischer Fluss. Gebaut Ende des 19.Jh., seit 1968 leer.
2 - Ein amputiertes System aus Fußgängerunterführungen als tiefer gelegter Bürgersteig der autogerechten sozialistischen Stadt, noch immer unter den Straßen, «zurückgebaut» zu einem an allen Enden zugemauerter Luftraum. Errichtet 1968, seit 2012 leer.
3 - die blinden Ubahnschächte der U10, «Bauvorleistungen» und damit nicht Planungsfehler, sondern vorsätzliche Artefakte, vorweggenommene Adapterräume, die zwischen verschiedenen Zeiten und inkompatiblen Systemen zu verhandeln scheinen. Sie wurden für eine ungewisse Zukunft errichtet, in der sie vielleicht einmal Verwendung finden würden. Aber nicht selten vergisst man morgen, was man übermorgen vorhatte. Unter dem Elektronikmarkt liegt eine weitere Bauvorleistung. Errichtet 1903 bzw. 1928, seitdem Lagerraum der BVG bzw. leer.
4 - Das Fundament des «dritten Behrens» eines ambitionierten Kino-, Theater-, Hotel-, Wohn-, Büro-, und Geschäftshochhauses, das als Hauptgebäude den beiden bestehenden Berolina- und Alexanderhäusern gegenüberstehen sollte. Drei Ubahnschächte wurden in das 20m tiefe Betonfundament des «Hahnblocks» bereits eingegossen, dann kam die Weltwirtschaftskrise. Die Nazis bauten das Fundament später zu einer dreistöckigen Bunkeranlage aus, in der mehr als 35.000 Menschen Platz fanden.
Die « a r b e i t s l o s e S c h ä c h t e », das sind Höhlen, die nicht in das System passen, in dem alles einen Sinn ergibt, nutzbar ist und eine Rendite abwirft. Diese Räume sind von Funktion befreite Funktionsbauten - und deswegen hat man Angst vor ihnen. Unlängst besichtigte ich mit 40 Polizisten das Gedärm. Die Beamten waren auf der akribischen Suche nach Möglichkeiten, wie man sich illegal Zugang zu den Orten verschaffen könnte, an denen nichts illegaler ist als die reine Anwesenheit. Könnte man es bezahlen, man würde sie schleunigst entfernen, diese beinahe exterritoialen Räume unter dem Zentrum, die es nicht geben darf - die arbeitslosen Schächte.
Dabei liegt der ursprüngliche Alexanderplatz im Untergrund, in den alles ihn konstituierende verbuddelt liegt. Verkehr, Enge und Trubel.
Der Platz besteht aus Konflikten - gesellschaftlichen wie städtebaulichen - und ist gelähmt in einem permanenten Transformationszustand, in dem kaum etwas passiert, weil man seit Jahrzehnten auf eine göttliche Fügung mit zehn Hochhäusern wartet. Aus dem immer wieder gut gemeinten Ansatz, ihn im Großen lösen zu wollen entstand im Gegenteil ein Platz, der aus Fragmenten und Fehlern besteht. Statt ihn erneut mit einer « G e s a m t l ö s u n g » zu retten, sollte im Gegenteil seine Qualität gesehen werden. Das Wesen des Platzes ist die « U n l ö s b a r k e i t » seiner Konflikte. Man könnte meinen, seine Wüste mache ihn zum demokratischsten Ort. Seine Artefakte sind Spuren vergangenen Scheiterns und Relikte gesellschaftlicher Verhandlungen. Sie sollen nicht getilgt, sondern benutzt, sichtbar gemacht und schließlich gefeiert werden, denn sie sind sowohl baulicher Ausdruck der brutalen Geschichte der Stadt als auch Abdruck aneinander reibender Auffassungen städtischen Zusammenlebens.
Der Alexanderplatz ist und bleibt das ungeklärte Zentrum Berlins.
Es geht es geht um nichts geringeres als die Zukunft, an diesem Ort.
In den Eingeweiden des Platzes nun, befindet sich die « B a u v o r l e i s t u n g A l e x a n d e r p l a t z », eine Institution, deren Aufgabe die Sicherung der Zukünfte ist. Die Institution ist nicht darum bemüht, die Welt zu retten, denn man ist sich einig, dass man damit alles nur noch schlimmer macht. Nicht das, was ist, wird konserviert sondern das, was kommen wird oder hätte kommen können. Hier werden sie bewahrt, die offenen Möglichkeiten, die rosigen Ausblicke und idealistischen Visionen. Vollkommen wertfrei, versteht sich.
Währed der Alexanderplatz unaufhaltsam damit fortfährt sich zu verändern - als Weltstadtplatz unterliegt er ganz anderen Kräften - lagert die Institution die alternativen Alexanderplätze ein, die nicht getroffenen Entscheidungen.
Rund um den Alexanderplatz ragen hier und dort metallische Monolithe und Solitäre in die Höhe. Sie scheinen fugenlos, sind rundum matt verspiegelt und fallen nicht weiter auf, obwohl oder gerade weil sie völlig deplaziert wirken. Einer steht im Unkraut der viel zu großen Verkehrsinsel vor dem Haus des Reisens. In einigen Metern Entfernung, neben der Tramhaltestelle stehen zwei kleinere Schächte, ebenfalls etwas verquer in der Stadt. Die drei ruhen auf den Fundamenten eines anderen Hauses, das nie über seinen Keller hinaus gekommen ist. Die Stadt, in der es stehen sollte, ist längst einer anderen gewichen. Vor den Säulen des Haus des Lehrers befindet sich ein Metallzylinder, ihm gegenüber vor dem Haus der Statistik ragt eine Reihe spitzer Prismen in die Höhe und unweit des großen Hotels steht ein sechseckiger Schacht.
Annahme Einer der matt glänzenden Kuben ist mit einem Rolltor und einem Schalter ausgestattet. Eine Kamera überwacht den Eingangsbereich. Kaum hat man den Knopf gedrückt und sein Anliegen vorgetragen, öffnet sich das Rolltor und gibt Einblick in einen Lastenaufzug, der einen ins Untergeschoss bringt. Hinter der gelochten Fensterscheibe des Schalters wartet geduldig der Pförtner. Mit ihm lassen sich Termine vereinbaren zur Revision. Meist muss man ein paar Tage warten aber dann erhält eigentlich jeder Zutritt. Zudem muss man wissen, was man sehen will, denn dass dies schließlich kein Museum ist, betont er immer wieder gerne. Ihm gegenüber in der Schleuse kann man Modelle und Pläne einreichen. Verlorene Wettbewerbsbeiträge, unrealisierte Bauvorhaben. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch, denn zum einen soll vermieden werden, dass die kostbaren Zukünfte vernichtet werden, zum anderen sind einige der eingelagerten Visionen derart radikal, dass man eine Veröffentlichung weitestgehend vermeiden möchte.
Sichtungsbereich Ein Archivar holt auf die Anfrage hin die entsprechenden Objekte aus dem Archiv und baut sie auf. Der Besucher wird eingelassen und zu den Sichtungsbereich geführt, wo die angeforderten Materialien gut ausgeleuchtet aufgebaut sind. Der Besucher kann mit dem Modell seiner Wahl so lange ungestört allein sein, wie er will. Zur Not stehen im Komplex auch isolierte Arbeits- und Schlafräume zur Verfügung, um intensiv an der Zukunft zu arbeiten und auch mehrere Tage in seiner Vision verbringen zu können.
Zwischenlager Einen Eingang sucht man vergebens, statt dessen gelangt man vom Untergrund aus unter den Turm, der auf dem Fundamentblock steht und an einen verwaisten Treppenturm erinnert. Er beinhaltet das Paternosterlager. Die riesigen Regalböden drehen sich auf Befehl und fahren den gewünschten Archivraum nach unten. Die fahrbaren Geschosse sind restlos gefüllt mit Kisten oder Fässern, die genormt und sortiert scheinen. Hin und wieder fährt ein hängender Gabelstapler durch das Lager und verschiebt die Kisten, düst mit einigen davon und taucht kurze Zeit später mit anderen auf. In den Holzkisten verstaut sind Modelle unrealisierter Zukünfte und verworfene Planungen.
Gläsernes Stadtmodell In den Räumen unter der Kreuzung, im ehemaligen Luftschutzbunker und damit auch unter der Bauruine des Hines-Hochhauses ist das Stadtmodell der Stadt ausgestellt. Es besteht aus transparenten Platten, die die Stadt im Maßstab 1:500 über und unter der Erde zeigen und die bei Bedarf ausgetauscht und angepasst werden können. Alternative Stadtbausteine befinden sich in einem Lager daneben. Sie können auf Wunsch einfach eingesetzt werden, um den jeweiligen Planungsstand darzustellen. Das Wurmmodell ist ein solcher transparenter Stadtbaustein.
Zukunftsendlager Die ehemalige Fußgängerpasserelle unterquert den Autotunnel und ist gefüllt mit Regalen. In ihnen liegen weiße Fässer mit zerlegten Modellen, luftdicht verpackt für die Ewigkeit.
Strobothek Weit unter der Erde, am Ende eines langen gebogenen Gangs folgt ein Raum mit den Kantenlängen von 8x8x8m. Es ist die Schildvortriebskammer der nie realisierten U10. In der Mitte stehen Liegen, an der Decke flackert eine Projektion. Sie zeigt die Stadt von oben, als Luftbildstroboskop. Lässt man sich auf der Liege nieder und schaut an die Decke, erscheinen in scheinbar zufälliger Reihenfolge historische Stadtaufnahmen, alte, nie realisierte Planungen und zukünftige Bauten. Die in den Köpfen der Betrachter entstehenden Nachbilder zwischen den projezierten Bildern, das ist die Stadt.
Raum für vorläufige Entscheidungen Um zum Raum zu gelangen, durchschreitet man den ehemaligen Regenwasser Notauslass, der sich wie ein großes S unter dem Alexanderplatz schlängelt. Ein angenehmes Gurgeln erfüllt den hohen Raum. Von der Decke hängt ein großer runder Tisch, in der Mitte ein Loch. Unzählige Stühle reihen sich um die hängende Tischscheibe. Das Licht, das durch die Oberlichter und entlang der schmalen Unterzüge in den Raum fällt, glitzert gedämpft. Über dem Raum liegt der Brunnen der Völkerfreundschaft. Über den Oberlichtern treibt im trüben Wasser all das, was hereingeworfen wird. Hin und wieder sieht man Kinderfüße über die Fenster laufen, ihre Schatten werfen Sie auf die diskutierend im Kreis Sitzenden. Das Gremium aus Politikern, Investoren und an früheren Planungen beteiligten berät darüber, welche Modelle angeworben werden, was in das Archiv der Zukünfte aufgenommen wird. Darüber hinaus wird entschieden, von welchen Utopien man sich trennt, und ob man der Stadt eine Vision spendiert.
Studierzimmer Eine Rotunde aus Aluminium. 20 Zellen reihen sich eine Etage tiefer um den Innenhof. Auf Wunsch kann man sich hier zurückziehen, um sich intensiv mit seiner Vision auseinanderzusetzen. Die Zellen haben einen Schreibtisch, ein Bett und Blick zum begrünten Innenhof.
Zukunftsrekonstruktion Unter den metallischen Sheddächern werden Modelle rekonstruiert und Utopien weitergesponnen. Von der U-Bahn aus erhascht man für einen Sekundenbruchteil Einblick in die rege Zukunftsproduktion.
Rauchmelder Alle paar Wochen oder Monate steigt Rauch aus einem langen dünnen sechseckigen Schlot am Rande des Alexanderplatzes auf. Projekte werden verbrannt, sobald sie realisiert wurden. Der Archivar macht es meist Sonntag Abend, schichtet die Pläne und Modelle des Gebäudes in den Kanonenofen und zündet alles an. Gelegentlich schaut er noch ein bisschen zu, wie das Papier und Holz Feuer fängt, dann schließt er die Luke und setzt sich auf den Platz, zündet sich eine Kippe an und schaut zum Schlot hinüber, der auch raucht. Die metallen Kuben im Hintergrund spiegeln verzerrt die Lichter der Stadt. Wenn er es nicht selber besser wüsste, würde er meinen, es seien schon wieder mehr geworden.
« B e r l i n , A l e x a n d e r p l a t z »
Es könnte 1928 sein, 1953, 1969, 2012, heute, übermorgen, die Zeit tut nichts zur Sache. Die große Uhr auf dem Platz steht still, drumherum dreht sich der alles. Buden, Karussells und viel zu viele Menschen wirbeln im Kreis. Ein chaotisches Treiben.
Eben kollidiert ein fliegender Wurstverkäufer mit einem Geschäftsmann. Entglittene, halbgare Ware markiert den Ort des Geschehens, um dessen Tathergang sich die beiden heftig zanken. Der Krawattenträger drängt den Wurstverkäufer rücklings an eine große Säule aus Aluminium, an der die Menschenmassen vorbei pflügen wie ein Fluss, der einen Felsen umspült.
Verwundert lassen die Streithähne voneinander ab, als der blanke Zylinder erbebt und heftig zu rauchen beginnt. Der weiße Rauch kommt irgendwo aus dem Untergrund. Wenn es sie wirklich gibt, diese Institution, die die Zukunft speichert, denkt sich der Wurstverkäufer beim Anblick des Rauchs, dann ist sie um eine Vision ärmer. Vor seinem geistigen Auge erscheinen weit verzweigte unterirdische Hohlräume, voll mit Fässern voller kritischen Potential.
Der andere wischt sich den Ketschup von der Krawatte und fängt auf englisch an zu erzählen. Er sei ein namhafter Immobilienentwickler, der vor kurzem einen Wettbewerb ausgeschrieben habe. Ein luxuriöser Wohnturm, beste Lage, direkt am Platz. Die Architekten und Planer sollen sich nicht beunruhigen lassen von dem Grundstück, sagt er und deutet nach unten. Der Boden sei ein Schweizer Käse, durchlöchern von Fußgängerunterführungen, U-Bahnlinien, dem dreigeschossige Bunker und allem zuunterst natürlich dem unvollendeten Hochhaus von 1928. Sie, sagt er und lacht, sollen bei ihrer Planung des Hochhauses erstmal davon ausgehen, es handle sich einfach um märkischen Sand.
Zwar würden die Baumaschinen in einer kleinen Ecke des Grundstücks wirklich auf Sand stoßen, der restliche Teil jedoch wäre fast so hoch bebaut wie das gründerzeitliche Berlin, nur eben nach unten.
Der Wurstmann lacht laut über die Schildbürgergeschichte seines gewichtigen Gegenübers. Ein weiteres unbaubares Hochhaus, das leicht versetzt auf den Grundmauern eines nie fertig gebauten Hochhauses stehen würde.
Der Schlips lacht nicht, sondern schaut andächtig in den Himmel. Urplötzlich geht es los. Ein Donnern schüttelt den seltsam schwülen Dezembertag. Schließlich ein uhrenbetäubender Knall. Überall Staub. Niemand kann später sagen, wie es dazu kam, aber als sich der Qualm lichtet, zeigt sich eine Lücke im Himmel. Wo vorher noch Luft war, hat sich ein verspiegelter Turm aus dem Horizont gebrochen.
Credits:
Ohne die tatkräftige Mitarbeit unzähliger Freunde wäre diese Arbeit unmöglich gewesen.
Vielen herzlichen Dank:
Markus Bühler Jakob Cevc Masen Khattab Sebastian Löffler Axel Mauruszat Dörte Meyer Nardi Sebastian Milank Nadja Müller Sebastian Nicolle Julian Pommer Dominik Poncé Nikolas von Schwabe Jan Thoelen Johannes Waltermann Lucie Waschke
Ein besonderer Dank gilt den Betreuern der Arbeit:
Prof. Alfred Grazioli Prof. Alexandra Ranner und Roland Meyer
Außerdem danke ich Jan Hoffmann von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Horst Lucht vom Bezirksamt Mitte, Gunnar Nath vom Landesdenkmalamt, Beate Blau von der WBM, Christian Berkes vom Buchladen ProQM, Lucas Bahle von der KH Weissensee, Jule Brink vom Industriedesign der UdK sowie dem Großuhrmacher Michael Salchow!
Das Projekt wurde veröffentlicht im PROTOCOL Magazin sowie der Zeitschrift form.